Kannst du dir vorstellen, dein Leben und deine Heimat für immer zu verlassen? Einen Rucksack zu packen und ohne deine Familie mehrere tausend Kilometer zurücklegen? Menschen wie Hashmat werden meist dazu gezwungen. Sie haben keine Wahl und müssen sich in Sicherheit bringen. Doch der Prozess der Flucht ist ein steiniger.
Er trägt seine Halskette mit afghanischer Flagge als Anhänger. Er trägt sie mit Stolz. Nach Afghanistan zurück möchte er nicht. Hashmat Safi ist mittlerweile 21 Jahre alt. „Keiner möchte seine Heimat verlassen“, sagt Hashmat gefasst. Wir verabreden uns in einem Gemeinschaftsraum des Studentenwohnheims in Eisenstadt. Durch Unterstützung der österreichischen Jungarbeiterbewegung und dem Europahaus Burgenland finden Flüchtlinge aus verschiedenen Nationen ein neues Zuhause. So auch Hashmat, er flüchtete aus Afghanistan.
Vor sieben Jahren flüchtete er aus Kabul nach Österreich. Er legte über 6.000 km zurück, sein eigentliches Ziel war Deutschland, doch seine Kräfte verließen ihn und er beschloss, in Österreich zu bleiben.
Wie weit ist Wien von Kabul entfernt?
Luftlinie ca. 4.561 Kilometer!
Wie oft müsstest du zu Fuß von Eisenstadt nach Bregenz gehen, um die gleiche Distanz zurückzulegen?
7,7x also fast 4x hin und zurück.
„Ich habe alles erlebt“
Hashmat erzählt, dass er mit ungefähr 30 weiteren Personen reiste. Er war ein kräftiger Junge und konnte weite Strecken zu Fuß zurücklegen. Er erzählt von Frauen und Familien, deren Kräfte sie verließen und die es nicht nach Europa schafften. „Vom Festland aus sind wir weiter nach Lesbos. Ich hatte Angst, weil ich illegal unterwegs war. Die iranische Polizei hat bei der Grenze zur Türkei auf uns geschossen. Die Kugeln sind maximal einen Meter an mir vorbeigeflogen. Aber die Hoffnung war größer als die Angst und das hat mich angetrieben, bis nach Europa zu kommen.“
Nach zwei Monaten und 6451 Kilometer kam Hashmat in Österreich an. Zur Weiterreise nach Deutschland fehlte ihm die Kraft. Nach der Versorgung im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen wollte der junge Mann voller Hoffnung sein neues Leben beginnen. Ganz so einfach ist das aber nicht, denn ein Asylverfahren in Österreich dauert meist sehr lange und Asylsuchende haben in Österreich kaum Rechte. “Vor allem während der großen Flüchtlingsbewegung 2015/16 waren die Behörden überlastet. Grundsätzlich sind Asylanträge binnen 6 Monaten zu entscheiden. Insbesondere in der Zeit zwischen Juni 2016 und Juni 2018 konnte diese Frist oftmals nicht eingehalten werden”, erklärt der angehende Jurist Paul Hecht. Diese bittere Erfahrung musste auch Hashmat machen.
Der Weg (interaktiv geplant)
Die Ankunft
„Gut gefallen hat mir, dass ich in Sicherheit war und mich frei bewegen konnte.“
Zitat von unserem Interviewpartner, Hashmat
Sobald ein Flüchtling in Österreich ankommt, muss er sich bei der Fremdenpolizei melden oder wird von dieser aufgegriffen. Es werden die persönlichen Daten aufgenommen, die schutzsuchende Person kommt in ein Erstaufnahmezentrum, wie in Traiskirchen und muss sich den ersten Befragungen durch die Polizei unterziehen. „Die Fragen reichen von Alter, Staatsangehörigkeit, Glaube und Volksgruppen-Zugehörigkeit bis hin zu Ausbildung, Familienzugehörigkeit oder nahe soziale Bindungen in Österreich. Außerdem wird hier auch die konkrete Fluchtroute mit allen Zwischenstopps erfasst.“, informiert uns Horst Pessl von der Freiwilligen-Organisation „Miteinand im Almenland“. Es wird ein Asylantrag gestellt. Der Schutzsuchende wird registriert und in die Grundversorgung aufgenommen. Die Grundversorgung ist eine staatliche finanzielle Unterstützung in der Höhe von 150€ pro Monat, um die Grundbedürfnisse des täglichen Bedarfs decken zu können.
Hashmat kam im Winter 2015 nach Salzburg: „Es war so neblig hier. Ich habe noch nie in meinem Leben so einen Nebel gesehen.“ Als er sich daran erinnert, muss er schmunzeln. Er stieg in Salzburg in den Zug und fuhr weiter nach Wien, wo er eine Polizeistation aufsuchte, um Asyl zu beantragen. Er unterzog sich einer ersten Befragung, musste Fingerabdrücke abgeben und wurde dann nach Traiskirchen ins größte Flüchtlingslager in Österreich gebracht.
Sein Lächeln verschwindet, als er von seinen 45 Tagen in Traiskirchen erzählt: „Da waren um die 5000 Leute. Manche haben unter freiem Himmel geschlafen, weil es so voll war. Ich war mit 26 anderen Personen in einem Zimmer.“ Danach wurde er endlich ins Burgenland gebracht und von „SOS Kinderdorf“ aufgenommen. „Die haben uns Jahre lang unterstützt, bis wir die Sprache gelernt und die Schule gemacht haben.“
Es beginnt eine Zeit quälenden Wartens. „Nach zwei Jahren hatte ich endlich ein Interview mit einem Richter.“ Nach der Anhörung liegt das Schicksal Asylsuchender in den Händen der österreichischen Behörden. Sie entscheiden, ob die Strapazen der Flucht vergebens waren, ob junge Menschen wie Hashmat das Recht haben, ein Leben in Frieden zu führen.
Während diesem Prozess ist es in Österreich möglich eine Schule oder einen Sprachkurs zu belegen, man kann gemeinnützige Tätigkeiten für Gemeinden oder gemeinnützige Einrichtungen durchführen, aber keinen bezahlten Job ausüben. „Zuerst durften wir nur die Ausbildungen für Mängelberufe machen, dann wurden die auch gestrichen von der Regierung“ erzählt Hashmat. Auch Lehren oder Ausbildungen, bei denen man Geld verdient, waren verboten. Die traurige Wahrheit spricht er offen an: „Wenn du nicht asylberechtigt bist, darfst du nicht arbeiten. In Deutschland kann man während des Asylprozesses arbeiten gehen, in Österreich nicht. Da kann Österreich noch vom großen Bruder lernen.“
Hashmat hat sechs Jahre auf einen Asylbescheid gewartet. Jetzt hat er eine subsidiäre Schutzkarte. Ein Jahr in Sicherheit, ohne zu wissen, wie es danach weitergehen wird. Eine Person gilt als subsidiär schutzberechtigt, wenn der Asylantrag zwar abgewiesen wurde, aber die Gesundheit oder gar das Leben im Heimatland bedroht wird. Zum Beispiel Folter, Todesstrafe oder gravierende Menschenrechtsverletzungen. „Damit habe ich mehr Rechte, ich kann jetzt überall hinreisen außer in meine Heimat, aber das will ich auch nicht. Ich möchte meine Karte so schnell wie möglich in einen österreichischen Pass umwandeln, aber das dauert ein bisschen.”
Perspektivlos, deine Hände sind gebunden.
Laut Hashmat selbst, ist es ihm im Großen und Ganzen gut gegangen, Auch wenn das Asylverfahren langwierig war, ist er optimistisch geblieben und hat sich hier gut eingelebt. Er hat eine Landwirtschaftsfachschule abgeschlossen und arbeitet jetzt in einem Weingut. Er kennt auch andere Geschichten über Flüchtlinge, mit denen er nach Österreich gekommen ist. Das Asylverfahren kann auch bis zu 10 Jahre dauern, die Schutzsuchenden sitzen einstweilen in Flüchtlingsheimen, ohne zu wissen, ob, wann und wie es weitergeht. Er erzählt von denen, die weniger Glück hatten, die der Mut verlassen hat. „Du bist perspektivlos, deine Hände sind gebunden. Manche bekommen Depressionen oder denken sogar an Selbstmord. Ich kenne auch zwei aus meinem Freundeskreis, die Selbstmord begangen haben.“ Andererseits berichtet er auch über Freunde, die große Erfolge gemacht haben und nun in großen Unternehmen arbeiten.
Hashmats größter Wunsch wäre es, dass seine Familie bei ihm in Österreich sein könnte. Er hat vier Brüder und zwei Schwestern. Er ist der Älteste. Seit in Afghanistan die Taliban an der Macht sind, ist das Ausreisen bzw. Flüchten noch schwieriger geworden. Auf die Frage, wie es seiner Familie in Afghanistan geht, weiß er nicht recht zu antworten: „Für dich ist das wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, du lebst in einer anderen Welt. Ein Beispiel ist, dass Frauen und Mädchen nicht mehr zur Schule dürfen oder ohne Begleiter das Haus verlassen.“ Als wir Hashmat fragen, was ihm an Österreich besonders gefällt, sagt er: „Dass ich ihn Sicherheit bin und mich frei bewegen kann.“
Er greift nach dem Anhänger seiner Halskette, gedanklich ist er in Kabul bei seiner Familie. Doch er hat es geschafft und lebt in Eisenstadt in Sicherheit.
Credits: Sabine Zinniel, Lena Vorraber, Anita Ruhm, Moritz Kusta